Bullet Journaling
- wie du dein gesamtes Leben in ein Notizbuch pflanzt
Gerade in Zeiten wie diesen, die durch Pandemie und Wirtschaftskrise herausfordernder nicht sein könnten, tut es gut, sich selbst mehr Beachtung zu schenken. Es geht um Fragen wie „Was war?“, „Was ist?“, „Wo will ich hin?“.
Zugegeben: Diese sind selten leicht zu beantworten. Schon gar nicht, wenn das Gedankenknäuel im Hirn unentwirrbar scheint – ohne Anfang und ohne Ende.
Die gute Nachricht ist: Seine Gedanken niederzuschreiben hilft erwiesenermaßen dabei, Ordnung ins Chaos zu bringen. Alles, was du dazu brauchst: Ein Stift, Papier – idealerweise in Form eines Notizbuchs – und etwas Zeit.
Ob du dir dann deine Sorgen von der Seele schreibst, um sie nicht länger von einer Gehirnwindung zur nächsten zu schieben und dich damit zu blockieren. Ob du Dinge formulierst, die dir gut gelungen sind oder auch jene, für die du dankbar bist, ist erst einmal Geschmackssache.
Fakt ist: Alles lohnt sich.
Es ist schon ein Weilchen her, dass wir auf den neuen Trend Bullet Journaling aufmerksam wurden. Die Befunde anderer schürten unsere Neugier: Genial, großartig, lebensverändernd sei es. "Nichts wie her damit", dachten wir und kauften ein sogenanntes BuJo. Schnell war es ausgepackt und mit Spannung begutachtet.
Nun ja, die Spannung wich bald einer gewissen Ratlosigkeit: Weiße, gepunktete Seiten, ein Index, ein Schlüssel mit Symbolen, fertig. Ansonsten war das Bullet Journal leer. Gähnend leer – Brachland sozusagen. Und nun?
Leeres BuJo: einmal beackern bitte!
Vielleicht ist es dir wie uns ergangen, als du das erste Mal ein BuJo in der Hand hattest. Wir jedenfalls machen keinen Hehl daraus: Bei uns regte sich zunächst nicht der klitzekleinste Hauch einer Ahnung, was daran so großartig sein sollte. Im Gegenteil, schnell kamen wir zu dem Schluss: Das ist ein – Verzeihung – stinknormales Notizbuch!
Dann, im Zuge der Recherche, gruben wir uns tief hinein in die Welt der Bilder und Postings auf Pinterest, Instagram und Co. und plötzlich wurde es hell im BuJo-Kosmos. So kann das also aussehen: Bunte und kreative Kritzeleien sowie herrliche Handletterings, die Kalenderansichten, Notiz- und Tagebucheinträge sowie To-do-Listen kunstvoll veredelten. Inspiriert davon begannen wir endlich eigene Ideen zu keimen, um das brachliegende BuJo nach eigener Fasson zu beackern.
Mit Organisation entspannter UND produktiver sein
Das Kreative ist jedoch nur ein Aspekt des Bullet Journals. Zugegeben: ein sehr anziehender! Der Grundgedanke allerdings ist die Organisation – zumindest wenn es nach Ryder Carroll geht, dem Erfinder der Bullet-Journal-Methode.
Der in Wien geborene Amerikaner hatte es als Kind nicht leicht. Mit seiner Aufmerksamkeitsstörung konnte er sich in der Schule schlecht konzentrieren (vor allem auf Dinge, die er langweilig fand). Weil er sich damit aber nicht abfinden wollte, beschloss Carroll damals, einen eigenen Weg zu finden, um sich zu organisieren.
Mit leeren Notizbüchern entwickelte er ein „Zwischending aus Terminplaner, Tagebuch, Notizbuch, To-do-Liste und Skizzenbuch“. Ein praktisches, aber nachsichtiges Werkzeug, mit dem er seine Gedanken ordnen konnte. „Das machte mich allmählich weniger zerfahren, weniger überfordert und viel produktiver“, beschreibt Carroll heute.
Die Grundidee: Alles an einem Fleck zu haben
Der Clou am BuJo ist, alles an einem Fleck zu haben - den Zeitplaner, die zu erledigenden Aufgaben, wichtige Notizen, eine Zielplanung, eventuell auch Skizzen und Zeichnungen sowie eine Rückschau. Ebenso ist darin Platz für Träume, geniale Einfälle und unvergessliche Erlebnisse. All das lässt sich im BuJo anlegen und ganz an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Und zwar Tag für Tag.
Denn beschließen wir irgendwann, dass eine Monatseinteilung mit mehr Platz für uns besser passt als die bisher verwendete, lässt sich das leicht abändern. Jederzeit lassen sich auch neue Inhalte einführen: Wer zum Beispiel anfangen will, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen, oder findet, dass eine Finanzplanung nottut, braucht dafür kein neues Büchlein zu beschreiben, sondern gestaltet sich dazu einfach ein paar neue BuJo-Seiten.
Auch wie wir das Bullet Journal gestalten, bleibt uns überlassen. Ob wir puristisch vorgehen und lediglich nüchtern Termine, Aufgaben und Ideen festhalten oder darin herumkritzeln und alles bunt anmalen. Summa summarum: Das Teil ist ein Multitalent! Und mit ein wenig System, etwa einem Index am Anfang, Seitenzahlen und kalendarischen Übersichten sowie einer Portion Beharrlichkeit im Übertragen der Aufgaben und Ziele von Monat zu Monat, bringt es in Nullkommanix Ordnung ins Leben.
Gedanken notieren, um die Spreu vom Weizen zu trennen
Dabei sind Ordnung und Struktur nur die Spitze des Eisbergs. Tief drinnen geht es auch um Achtsamkeit und Selbstreflexion. Der Akt des Schreibens von Hand hilft uns enorm dabei, weiß Carroll: „Es bringt unseren Geist auf neurologischer Ebene direkt in die Gegenwart, wie es sonst kein aufmerksamkeitsfesselndes Instrument zu leisten vermag.“
Das heißt, wir sind im Moment des Schreibens ganz bei uns, kommen zur Ruhe und fokussieren uns aufs Wesentliche – vor allem, indem wir unsere Gedanken ordnen. Das ist wichtig. Immerhin beschäftigen uns tagtäglich 5.000 bis 7.000 Gedanken. Eine stattliche Zahl, nicht? Wäre jeder Gedanke ein Wort, könnten wir damit Tag für Tag ein Buch füllen.
Dumm nur, dass unsere Gedanken weder so schlüssig sind wie eine Romanstory noch so leicht greifbar. Wenn sie durch unsere Gehirnwindungen jagen, sind unsere Gedanken oft zerfranst und in aller Regel flüchtig. Erst der niedergeschriebene Gedanke hat Substanz. Und nur durch die Verschriftlichung lässt sich die Spreu vom Weizen trennen: Was ist wesentlich, was nicht.
Garten Eden der Entschleunigung
Gerade in Zeiten, in denen sich unsere Welt im virtuellen Rausch immer schneller zu drehen scheint, braucht es Erdung. Manche von uns spüren das stärker als andere. Wer das Gefühl hat, dass sein digitales Leben ihm über den Kopf wächst, für den ist Bullet Journaling die richtige Methode, um sich zu organisieren, strukturieren und fokussieren.
Im Cyber-Dschungel verlieren wir sonst den Überblick, meint Carroll in seinem Buch „Die Bullet-Journal Methode“ (Verlag Rowohlt). „Nie waren wir vernetzter als heute und nie war es einfacher, sich selbst zu entfremden. Wir werden überschwemmt von einem nie abreißenden Informationsstrom, der unsere Sinne überflutet und uns rastlos zurücklässt, überarbeitet und unbefriedigt, eingeloggt und ausgebrannt.“
Für ihn sei das BuJo ein analoger Zufluchtsort von unschätzbarem Wert gewesen, als die Technik mit ihren zahllosen Ablenkungen in jeden Winkel seines Lebens Einzug gehalten hatte – quasi ein Garten Eden der Entschleunigung. Carroll konnte damit definieren und anvisieren, was wirklich wichtig für ihn war.
Aber genug jetzt der grauen Theorie. Am besten ist es, die BuJo-Methode einfach auszuprobieren. Ein Stift und ein leeres Notizbuch genügen, um deine Ideen und Gedanken einzupflanzen. Und wer weiß: Vielleicht kannst du dann schon bald die Früchte deiner Arbeit ernten. 😉
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