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Zeilen der Sehnsucht - Der Liebesbrief und seine Geschichte

- der Liebesbrief einst und heute


Mein Engel, mein alles, mein Ich. Nur einige Worte heute, und zwar mit Bleystift (mit deinem) – erst bis morgen ist meine Wohnung sicher bestimmt, welcher Nichtswürdiger Zeitverderb in d.g. – warum dieser tiefe Gram, wo die Nothwendigkeit spricht. Kann unsre Liebe anders bestehn als durch Aufopferungen, durch nicht alles verlangen, kannst du es ändern, daß du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin. Ach Gott blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das müßende – die Liebe fordert alles und ganz mit Recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir.


Diese verzehrenden Zeilen sind der Anfang eines dreiteiligen Liebesbriefs, den Ludwig van Beethoven am 6. Juli des Jahres 1812 an seine „unsterbliche Geliebte“ schrieb. Wer diese – sicherlich verheiratete – Dame war, darüber streiten Fachleute bis heute. 


Aber ganz gleich, ob das intime Bekenntnis des großen Komponisten nun an Josephine Gräfin Deym von Stritetz, Amalie Sebald oder Antonie Brentano adressiert war – der Brief gehört sicherlich zu den schönsten Liebeserklärungen seiner Zeit.



Aus früheren Zeiten wenig erhalten


Liebesbriefe in der Form, wie wir sie heute kennen, treten in ihrer Vielzahl erst ab dem 18. Jahrhundert auf. Es ist anzunehmen, dass Menschen - seit sie schreiben konnten - versucht haben, ihre Gefühle für geliebte Menschen schriftlich festzuhalten. Doch aus früheren Jahrhunderten sind kaum verschriftlichte Liebesgeständnisse erhalten geblieben. Und wenn doch, handelt es sich dabei eher um Aufzeichnungen von Historikern und Philosophen als um tatsächliche Briefe.


Eine rare Ausnahme bildet die Korrespondenz von Gaius Plinius Caecilius Secundus (61 – 115 n. Chr.), auch Plinius der Jüngere genannt. Die sogenannten Plinius-Briefe, in denen der Anwalt und Senator vom Leben und Denken der römischen Oberschicht Roms berichtet, sind berühmt. Kaum bekannt ist Plinius hingegen für seine amourösen Briefwechsel. Hier ein paar ausgewählte Zeilen, die Plinius an seine dritte Frau Calpurnia schrieb:





Warum? Weil ich Dich lieb habe, und weil wir es nicht gewohnt sind, getrennt zu sein. Daher kommt es auch, dass ich einen großen Teil der Nacht wachend mit Deinem Bild vor Augen verbringe; daher, dass mich bei Tage zu den Stunden, wo ich mich Dir zu widmen pflegte, wie man ganz richtig sagt, die Füße selbst zu Deinem Zimmer führen, und dass ich schließlich betrübt und niedergeschlagen, als hätte man mich nicht eingelassen, Dein leeres Gemach verlassen.


Bittersüß, nicht wahr? Auch Calpurnia dürfte ihrerseits ähnlich sehnsuchtsvolle Briefe verfasst haben. Denn wenn auch ihre Schriften nicht erhalten sind, können wir anhand seiner Zeilen unsere Schlüsse ziehen:


Lieb von Dir, dass Du mich so vermisst, lieb von Dir, dass Du mit diesem Trostmittel zur Ruhe kommst. Ich meinerseits lese dauernd Deine Briefe und nehme sie immer wieder zur Hand, als wären sie neu, aber umso mehr regt sich die Sehnsucht nach Dir. Denn wessen Briefe soviel Anmut haben, wie viel Süße bietet dessen Gespräch! Schreib mir doch so oft wie möglich, mag auch die Freude darüber mit Pein verbunden sein!



So viele Grüße, wie es Fische im Meer gibt


Auch aus dem Mittelalter sind kaum Belege für Liebesbriefe erhalten. Allerdings entdeckten Forscher vor einigen Jahren im italienischen Verona mehr oder minder zufällig ein Handbuch für Liebesbriefe. Es stammt aus dem 12. Jahrhundert, ist in lateinischer Sprache abgefasst und von einem Mann namens Guido geschrieben. 


Der mittelalterliche Liebesexperte schrieb darin Sätze wie diese: „Meine Liebe zu dir ist so tief, dass ich sie mit Worten nicht auszudrücken vermag, könnte auch jede Membran meines Körpers sprechen.“ 


Blumig! Auch für den rechten Gruß an die Liebste hat Guido eine Formel parat: „Ich schicke dir so viele Grüße, wie es Fische im Meer gibt.“ Nicht zuletzt empfiehlt der Autor, die Schönheit der Adressatin mit wertvollen Edelsteinen zu vergleichen.


Im Übrigen gibt es in Guidos Liebesbriefe-Handbuch auch Schreibmuster, die explizit an Frauen gerichtet sind. Ein Beweis dafür, dass es bereits im 12. Jahrhundert Damen gab, die nicht nur gut lesen konnten, sondern offenbar auch Interesse daran hatten, Liebesbriefe zu verfassen.


Dennoch bleibt zu bezweifeln, dass Briefe zwischen Liebenden damals an der Tagesordnung standen, denn selbst viele Adelige waren zu jener Zeit noch nicht des Lesens und Schreibens mächtig.



Eigene Worte der Liebe waren tabu


Ab dem 15./16. Jahrhundert kam das Schreiben von Liebesnachrichten in Schwung – der Liebesbrief avancierte zu einer eigenen literarischen Form. Das Geschriebene war allerdings damals stark vom Mittelalter geprägt, was sich inhaltlich in keuscher Bewunderung niederschlug, übermittelt in übersteigerter Sprache – unnahbar und schwülstig würde man heute dazu sagen.

 

Und das blieb auch lange Zeit so. Noch im 17. Jahrhundert versteckten sich die von Amors Pfeil Getroffenen hinter vorgefertigten Floskeln, weil es als unschicklich galt, sich in aller Tiefe seiner Gefühle zu offenbaren. Eigene Worte für die Liebe zu finden, war tabu.



Die Liebesbriefkultur erblühte um 1800


Erst vor etwa 300 Jahren vollzog sich ein eindeutiger Wandel: Zum einen konnte um 1800 die Mehrheit der Erwachsenen (zumindest in Nordwesteuropa) lesen und schreiben. Daher wurde generell mehr geschrieben als zu jenen Zeiten, als das Schreiben lediglich der gehobenen Schicht vorbehalten war.


Zum anderen begann man sich von allzu strengen Form-Vorgaben zu emanzipieren. Verliebte fingen an, sich ihre brennenden Gefühle mit eigenen Worten von der Seele zu schreiben. Wärme, Zärtlichkeit, Charme und selbst Humor flossen nun in die Liebesnachrichten mit ein und je nach Temperament des Schreibenden fielen diese inbrünstig, zuweilen rührselig, aber auf alle Fälle hochromantisch aus. 


Ein kleines Beispiel gefällig? Hier haben wir einen Auszug eines Briefes von Napoleon Bonaparte an seine Geliebte und spätere Ehefrau Joséphine. Zuerst in höflichem SIE gehalten, wechselt Napoleon seinem Überschwang gegen Ende zum vertraulichen DU:


Sie dachten, dass ich Sie nicht um Ihrer selbst willen liebte!!! 

Aber wie kann das sein? Ach, Madame, welche Sorge Sie sich machen. 

Wie kann ein so niedriger Verdacht in einer so reinen Seele entstehen? 

Ich bin darüber nicht weniger erstaunt als durch das Gefühl, das mich beim Aufwachen ohne alle Bitternis ließ und wie von selbst Ihnen zu Füßen führte. … 

Ich küsse Dich dreimal, einmal Dein Herz, einmal Deinen Mund, einmal Deine Augen.“


Später, während seines Italienfeldzugs, als er schon mit Josephine verheiratet ist, beklagt sich der große Feldherr bitterlich darüber, keine Neuigkeiten von ihr zu erhalten. 


Kein Brief von dir, meine reizende Freundin, du hast also liebliche Beschäftigungen, denn du vergisst deinen Ehemann, der inmitten aller Angelegenheiten und äußerster Müdigkeit nur an dich denkt, nur dich begehrt. (...). Ich bin isoliert. Du hast mich vergessen.“



Romantisch, verzweifelt und zwanghaft


Wenngleich sich die Sprache der Liebe (und die Sprache insgesamt) im Laufe der Jahrhunderte wandelte und merkbar nüchterner wurde, geht die Romantik in einem Liebesbrief nicht verloren. Das liegt in der Natur der Sache.


Auch andere Merkmale sind den schriftlichen Liebesgeständnissen heute genauso zu eigen wie früher: So etwa die Vorstellung, dass die eigenen Gefühle nicht richtig in Worte gekleidet werden können. Liebende hängen generell dem Glauben an, dass ihre Emotionen einzigartig sind.


Ebenso ist – damals wie heute – ein gewisser Mitteilungszwang typisch für einen Liebesbrief: Diese Vorstellung, dass die Liebe niedergeschrieben werden muss, damit einem nicht das Herz übergeht.



Liebesnachrichten in digitalen Zeiten


Geändert hat sich definitiv eins: Heutzutage setzt sich wohl kaum jemand mehrmals am Tag hin, um seiner Sehnsucht in einem Liebesbrief Ausdruck zu verleihen. Im 19. und Anfang des 20. Jahrhundert war das gang und gäbe. Natürlich auch deswegen, weil es die einzige Möglichkeit bei räumlicher Trennung war, mit der oder dem Liebsten in Kontakt zu treten


Den inneren Seelenzustand auf Papier zu bannen und das Warten auf Antwort sind inzwischen aber dem schnellen Schreiben am Computer und Mobiltelefon gewichen. In Sekundenschnelle werden dort kurz und bündig elektronische Botschaften zugestellt. Wer sich am Smartphone seine Liebe gesteht, verwendet oft überhaupt nur mehr wenige Worte, garniert mit Herzchen und Emojis. 😊🧡


Und diejenigen, die zwar längere Liebesgeständnisse machen möchten, dafür aber keine Worte finden, können mittlerweile auf Liebesbrief-Generatoren im Internet zurückgreifen. Wer dort etwa Eckdaten wie Augen- und Haarfarbe sowie Hobbys und Vorlieben des oder der Angebeteten eingibt, bekommt in Bruchteilen von Sekunden einen Liebesbrief zusammengezimmert. 


Ob das wirklich in die Kategorie romantisch fällt, sei dahingestellt. Andererseits … sich bei Formulierungen in Liebesdingen etwas unter die Arme greifen zu lassen … erinnert diese Vorgangsweise nicht ein wenig an den Liebesbrief-Knigge von Guido aus dem 12. Jahrhundert?


Eben. Der dürfte ja auch gar nicht so schlecht funktioniert haben. 😉

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